Gimli, der hartnäckige Spezialist
Wenn die Gewissheit näher rückt, dass nach einer Katastrophe niemand mehr unter den Trümmern lebend geborgen werden kann, dann kommt Gimli zum Einsatz. Der Rehpinscher ist einer der REDOG Leichensuchhunde. Obschon es unendlich traurig ist, wenn jemand nur noch tot gefunden wird, erhalten die Angehörigen doch die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Wir begleiten Gimli und seine Führerin Tatiana Lentze zu einem Training.
Das Porträt erschien in "Humanité", der Zeitschrift des Roten Kreuzes, Januar 2023
Text: Tanja Reusser
Bilder: Remo Nägeli
Rehpinscher Gimli, benannt nach dem starr- und scharfsinnigen Zwerg aus «Herr der Ringe», liebt seinen «Job». Zeitgleich mit dem Kommando springt der achtjährige Leichensuchhund auf die Trümmer, die auf dem REDOG Trainingsgelände realitätsnah eine Katastrophensituation nachbilden. Er soll einen versteckten Gegenstand suchen, der mit einem Geruch präpariert wurde, einen sogenannten Geruchsträger. Der Rüde tänzelt über zerbrochenen Beton und umgeht spitze Armierungseisen, als wär’s ein Spielplatz mit Gummimatten. Eifrig, konzentriert setzt er seine Nase ein. Gimli gehört als einsatzfähiger Kleinhund zu einer Minderheit. Häufiger vertreten bei REDOG sind Rassen aus den Gruppen der Hüte-, Jagd- oder Arbeitshunde.
Tatiana Lentze ist durch Zufall auf den Rehpinscher gekommen. Die 52-Jährige führt zusammen mit einer Kollegin eine Tierarztpraxis im Westen von Bern. «Ich habe vor etwa zehn Jahren einen vernachlässigten Rehpinscher-Welpen behandelt und entschied mich, ihn bei mir aufzunehmen. Leider verstarb er nach einem Jahr.» Das Wesen des Rehpinschers hatte es ihr jedoch so angetan, dass sie sich nach zwei Border Collies, die sie für die Rettungsarbeit ausbildete, für einen Rassenwechsel entschied.
«Gimli hat als Dreijähriger die Einsatzprüfung im ersten Anlauf bestanden. Bei Weitem nicht alle Hunde schaffen das.» Und mit etwas Bewunderung für Gimlis Persönlichkeit: «Er ist ein sturer, hartnäckiger Zwerg, der Ausdauer zeigt. Zudem ist er kreativ und schlau.» Aber es sei weitaus schwieriger, einen so selbstständig denkenden Hund zu erziehen.
Nach kurzer, emsiger Suche bellt Gimli selbstsicher in eine Trümmerspalte. Er hört nicht auf, bis seine Führerin bei ihm ist. Tatsächlich ist da der Geruchsträger versteckt. Trotz Gimlis engagierter Suche ist Tatiana Lentze nicht ganz zufrieden. «Er will mit möglichst wenig Aufwand seine Belohnung. Er könnte mir die Stelle noch präziser anzeigen.»
Es ist enorm wichtig für Angehörige, wenigstens Gewissheit zu haben.
Tatiana Lentze sucht mit Gimli Verstorbene unter Trümmern
Für die Angehörigen
REDOG verfügt über drei einsatzfähige Leichensuchhunde, um verschüttete Opfer nach einer Katastrophe zu orten. Um sicherzugehen, dass keine Opfer mehr unter den Trümmern liegen, wenn die Aufräumarbeiten beginnen. Polizeihunde sind zur Suche in Trümmern nicht ausgebildet. Nach einem Erdbeben, einem Murgang oder einer Explosion setzt REDOG zuerst Verschütteten-Suchhunde ein, die nach Überlebenden suchen. Erst in einem zweiten Schritt werden die Leichensuchhundeteams aktiv.
«Natürlich könnten die Rettungshunde nebst lebenden Personen auch Leichen orten, wenn wir sie entsprechend ausbilden würden», erklärt Tatiana Lentze. «Doch wir wollen, dass Rettungshunde sich ganz auf die Gerüche von lebenden Menschen konzentrieren.» Da Leichen meist stärker riechen, könne es ansonsten geschehen, dass ein Hund eine verschüttete lebende Person weniger wahrnimmt und sie allenfalls nicht anzeigen würde. Dieses Risiko will REDOG ausschliessen.
REDOG begann mit der Ausbildung von Leichensuchhunden vor rund zehn Jahren. Die Idee entstand nach der Schlammlawine durch Gondo am Simplonpass. Rettungshunde von REDOG, die damals im Einsatz standen, orteten keine noch lebenden Opfer des Murgangs. Sie verhielten sich jedoch an einigen Stellen auffällig. Elf Menschen wurden tot geborgen, zwei blieben für immer vermisst. «Uns wurde bewusst, wie enorm wichtig für Angehörige es ist, wenigstens Gewissheit zu haben.»
Der Härtetest
Nie vergessen wird Tatiana Lentze den Einsatz mit Gimli nach der Jahrhundertflut im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz vom Juli 2021, im Ahrtal. Siehe Bilder oben. Er wurde zum Härtetest für den Junghund. Und für Tatiana Lentze und zwei weitere REDOG-Hundeführerinnen zu einer prägenden Erfahrung. Aus einem eingestürzten Gebäude habe sogar der schwach ausgeprägte menschliche Geruchsinn intensiven Verwesungsgeruch wahrgenommen. Das Bergungsteam sei sich sicher gewesen, dass es auf Tote stossen würde.
«Drei Leichensuchhunde durchsuchten die Trümmer und keiner der Hunde zeigte an. Wir waren etwas verunsichert und Zweifel an unseren Hunden schlichen sich ein. Doch unsere Hunde irrten sich nicht. Der Geruch stammte von verdorbenen Lebensmitteln aus einem Kühlschrank.» Eins zu Null für die Hundenase oder präziser: Rund 5 Millionen Riechzellen des Menschen sind wortwörtlich Schwachsinn gegen die 125 bis 300 Millionen eines Hundes und seines aufs Riechen spezialisierten Gehirns.
Einsatz nach den Überschwemmungen in Spanien
Tatiana Lentze und Gimli waren Teil der REDOG Suchhundestaffel, die Ende November 2024 in der Region Valencia nach Opfern der Flutkatastrophe suchte. Während die Aufräumarbeiten drei Wochen nach der Katastrophe in vollem Gang war, suchten die REDOG Teams gemeinsam mit der Suchhundestaffel Freiburg im Breisgau Felder und Ufer von Flüssen ab. Die REDOG Such- und Rettungshunde zeigten an vier Stellen an.